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Forscher über fehlende Studienplätze„Die Politik wälzt die Kosten ab“

Rund 7.500 Deutsche studieren Medizin im Ausland, hat Bildungsforscher Gero Federkeil errechnet. Er fordert, dass die Po­li­ti­k sich stärker um diese Gruppe kümmert.

Warten auf das Aufnahmerverfahren für ein Medizinstudium in Wien im Juli 2023 Foto: Martin Juen/Sepa Media/imago
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Herr Federkeil, Humanmedizin ist einer der beliebtesten Studiengänge in Deutschland. Aktuell bewerben sich im Jahr insgesamt rund 50.000 Personen – genommen werden aber nur um die 12.000. Was machen die, die leer ausgehen?

Gero Federkeil: Die meisten abgelehnten Bewerberinnen und Bewerber warten und hoffen, über ein Nachrückverfahren noch einen Platz zu bekommen. Wir wissen mittlerweile aber, dass viele, die den NC in Deutschland nicht schaffen, auch ins Ausland gehen und dort Medizin studieren.

Ihren Berechnungen zufolge sind das derzeit rund 7.500 Personen. Traditionell gehen sie für das Studium nach Österreich, weil da Deutsch gesprochen wird und keine Studiengebühren fällig sind. Welche anderen Länder sind noch beliebt?

In der Tat ist Österreich am beliebtesten, aus den Gründen, die Sie genannt haben. Fast ein Drittel der Deutschen, die Medizin im Ausland studieren, studieren dort. Fast genau so viele gehen nach Ungarn, etwa 2.000. Danach folgen Polen mit 800 und Tschechien, Großbritannien und Litauen mit je knapp über 400. Auch Italien ist für deutsche Medizinstudenten, nach allem, was wir hören, attraktiv. Da gibt es aber leider keine Zahlen.

Wer in Deutschland studieren möchte, muss in der Regel einen Abischnitt von 1,0 haben, auch wenn die Unis mittlerweile auch andere Kriterien wie Berufserfahrung berücksichtigen. Halten Sie das Auswahlverfahren für fair?

Es ist zumindest fairer als das vorherige Modell, als nur der Notenschnitt gezählt hat. Und ich finde es begrüßenswert, dass mittlerweile auch Personen ohne Abitur Arzt oder Ärztin werden können und das Bildungssystem hier durchlässiger geworden ist. Die Kehrseite der aktuellen Zulassungsbeschränkung ist aber, dass viele Studierende im Ausland teils sehr hohe Studiengebühren zahlen müssen. Zum Beispiel an Universitäten in Südosteuropa, die spezielle Studiengänge für internationale Studierende anbieten. Da sind teils bis zu 20.000 Euro im Jahr fällig. Das können sich dann nur finanziell bessergestellte Familien leisten.

Bild: Jürgen Volkmann
Im Interview: Gero Federkeil

61, leitet beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) den Bereich Internationale Projekte und ist Co-Autor der CHE-Studie Medizin­studium in Europa 2024.

Die Politik könnte doch mehr Personen für ein Studium zulassen. Dadurch würde der Weg in den Beruf sozial gerechter – vor allem wäre das auch sinnvoll bei den aktuellen Prognosen. Bis 2035 fehlen in Deutschland laut Robert Bosch Stiftung rund 11.000 Hausärzte.

Die Zahl der Studienplätze steigt ja sogar, so sind in den vergangenen Jahren einige neue Medizin-Fakultäten entstanden, etwa in Oldenburg, Bielefeld oder aktuell in Cottbus. Aber insgesamt ist der Ausbau überschaubar. Medizinstudienplätze sind natürlich auch sehr teuer, vor allem mit den Laboren und den Ausbildungsphasen in der Klinik. Die hohen Kosten sind mit Sicherheit ein entscheidender Punkt, warum die Politik beim Ausbau der Studienplätze eher zurückhaltend ist.

Kri­ti­ke­r:in­nen entgegnen, die Investitionen würden sich doppelt und dreifach rechnen. Die Pa­ti­en­t:in­nen hätten eine bessere Versorgung, das Personal würde insgesamt entlastet und der Staat profitiert letztlich auch über höhere Steuereinnahmen.

Da setzen Sie ein sehr rationales Verständnis von Politik voraus (lacht). Bei dem Thema sind aber nun mal mehrere Akteure mit sehr unterschiedlichen Interessen beteiligt: Das Bundesgesundheitsministerium ist für die Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten zuständig. Die Länder wiederum sind für die Studienplätze und die Finanzierung verantwortlich. Dort müssen sich dann Wissenschafts- und Finanzministerium einigen. Dieses Dreieck erschwert vieles.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht beim Fachkräftemangel die Länder in der Pflicht und fordert regelmäßig 5.000 zusätzliche Studienplätze. Wären damit die Personalprobleme gelöst?

Ich fürchte nein. Es ist zwar, denke ich, unstrittig, dass gerade zu Beginn der Ausbildung Studienplätze fehlen. Der Mangel entsteht aber auch an anderen Stellen. So arbeiten längst nicht alle, die hierzulande Medizin studieren, anschließend auch in Deutschland als Arzt. Einige gehen ins Ausland, beispielsweise nach Norwegen oder Schweden, wo die Arbeitsbedingungen deutlich besser sind. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer mehr Praxisärzte in Teilzeit arbeiten. Auch dadurch kann es zu einer eingeschränkten Versorgung kommen. Die fehlenden Studienplätze sind also nur ein Grund unter mehreren, dass wir einen Mangel haben.

Aktuell halten vor allem auch ausländische Ärzte unser Gesundheitssystem am Laufen. Deren Zahl hat sich laut Bundesärztekammer seit 2013 auf mehr als 60.000 verdoppelt.

Das ist natürlich einerseits gut, dass es diese Ärzte und Ärztinnen gibt. Ich habe aber auch gehört, dass es teils wegen fehlender Sprachkenntnisse Probleme geben soll. Ob das wirklich stimmt, kann ich nicht beurteilen. Die Zunahme ausländischer Ärztinnen und Ärzte ist aber ein Indiz dafür, dass wir selbst zu wenige ausbilden. Da sind wir als Gesellschaft gefragt, wie viel wir für die Ausbildung von künftigen Ärztinnen und Ärzte ausgeben wollen.

Eine zynische Antwort wäre: Wir schicken einen Teil sogar ins Ausland, um uns auch noch die Ausbildungskosten zu sparen.

Das kann man so sehen. De facto wälzt die Politik die Kosten, die sie selbst nicht bereit ist in Studienplätze zu investieren, auf die Studierenden ab. Wir wissen, dass die überwiegende Mehrheit dieser Studierenden ja wegen des hohen NC ins Ausland geht. Man kann also davon ausgehen, dass sich die meisten über einen Studienplatz in Deutschland gefreut hätten.

Ist eigentlich bekannt, was aus den NC-Flüchtlingen wird? Kommen die alle nach Deutschland zurück und arbeiten dann hier als Mediziner:innen?

Darüber gibt es keine Daten. Wir hatten gehofft, über die Landesbehörden, die für die Anerkennung der Abschlüsse zuständig sind, hier selbst einen Überblick geben zu können. Aber die Hälfte der Bundesländer hat uns nicht mal auf unsere Anfrage geantwortet. Und von der anderen Hälfte hatten auch nicht alle dazu Zahlen. Überhaupt scheinen die betroffenen Studierenden in der Planung der Politik keine Rolle zu spielen. Wir am Centrum für Hochschulentwicklung waren dann auch die Ersten, die gezeigt haben, dass das nicht nur einige wenige sind, sondern dass jeder zehnte bis zwölfte Medizinstudent im Ausland studiert.

Was sollte Ihrer Meinung nach nun passieren?

Ich fände es gut, wenn die Politik diese große Unbekannte mit Hilfe einer Studie ausräumt. Dann wäre klarer, ob es beispielsweise Probleme beim Einstieg ins deutsche Gesundheitswesen gibt oder welche Rolle die Personen beim Fachkräftemangel spielen können. Diese Fragen wollten wir jetzt eigentlich im Rahmen einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit den politischen Akteuren debattieren. Die aber wollten überwiegend nicht an dieser Debatte teilnehmen.

Worüber die Politik gerne redet, ist die sogenannte Landarztquote. Also das Angebot, einen Teil der Studienplätze freizuhalten für Personen, die sich künftig für zehn Jahre Dienst auf dem Land verpflichten. Viele Plätze sind das dann aber oft nicht. In Brandenburg beispielsweise 18 pro Semester. Klingt nach Tropfen auf den heißen Stein.

Das stimmt. Auch wenn es mittlerweile ähnliche Programme mit ausländischen Hochschulen gibt. In Sachsen etwa übernimmt die Landesärztekammer für eine kleine Zahl von Deutschen, die an der Universität Pécs in Ungarn studieren, die Studiengebühren, wenn sie sich verpflichten, nach dem Studium in Sachsen außerhalb von Leipzig und Dresden zu arbeiten. Dennoch wird die Landarztquote immer nur sehr punktuell helfen können. Zumal sich durch die Landarztquote ja nicht die Gesamtzahl der Me­di­zin­ab­sol­ven­t:in­nen erhöht.

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9 Kommentare

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  • "Wir" schicken gar nichts.



    Das sind individuelle Entscheidungen. Und offensichtlich kommt es in dem Gesamtsystem zu einem länderübergreifenden Austausch (auch wenn hier wohl weniger Schweizer Ärzt/innen arbeiten). Das ist doch ok.



    Wieso soll die Politik immer auf die individuellen Nachfragen reagieren? Beim Lehramt gibt es mehr Studienplätze als Nachfrage. Abbauen wird aber zu recht nicht gefordert. Die Anzahl der Medizinstudienplätze hängt auch mit der Gesamtzahl an Ärzten in D zusammen. Und da hat D eine hohe Versorgung (zur Zeit, wer weiss wie es nach der Ruhestandwelle der Boomer aussieht).

    • @fly:

      Das mit der "hohen Versorgung" halte ich jetzt mal für eine Einzelmeinung, wenn ich mir die ganzen mehr oder weniger verzweifelten Versuche anschaue, durch Verwaltungsakte ("Terminservicegesetz", "Landarztquote") Versorgungskapazitäten zu generieren.



      Klar ist es anderswo noch übler (GB), aber die hiesigen Zustände haben's schon in sich. Ist halt eine Kombination aus abnehmendem Bock auf Selbstausnutzung seitens der Ärzte (42h-Dienste spielt niemand mehr mit, jede 2. Nacht Dienst schieben auch nicht), zunehmendem Versorgungsbedarf (ältere Menschen) und v.a. auch zunehmendem Versorgungswunsch (Schnupfen? Notaufnahme!). Vor allem Letzteres ist ein Problem, weil da sinnlos Kapazitäten verbrannt werden, die an anderer Stelle fehlen.

  • Das ist doch nur eine winzige Blume auf der riesigen Brain-Drain-Wiese.

    Diese Woche hätte die Politik in Duisburg die Chance mal nachzufragen warum so viele helle Köpfe ins Ausland gehen.



    Aber die Polits sind sicher alle noch im Osterurlaub...

  • Wenn ich zum Arzt muss, finde ich es ehrlich gesagt immer ein Stück weit beruhigend, dass beim Medizinstudium nur die intellektuell fähigsten Bewerber zum Zug kommen. Ich bin da auch nicht neidisch, dass diese Leute schlauer sind als ich selbst. Es geht ja um meine Gesundheit und nicht um ein Werkstück, das man notfalls wegwerfen kann und ein neues fräst.

    Ich kann mir nicht vorstellen, mich in die Hände eines Arztes zu begeben, der Schule und Abi nicht spielend leicht gemacht hat. Das Medizinstudium ist nochmal um einiges anspruchsvoller als das Abitur.

    • @Winnetaz:

      Wenn das alles so wäre, wäre die Welt in Ordnung, intellektuelle Leistungsfähigkeit, festgemacht an einer Abiturnote, basierend auf einer eher willkürlichen Fächerauswahl sagt nichts über eine Eignung zum Medizinstudium oder Arztberuf aus.



      Dazu gehören auch soziale Kompetenz, manuelles Geschick und vieles mehr. Ich kenne auch Leute mit Einserabi, die mit Sicherheit keine guten Ärzte geworden wären, weil ihnen diese Fähigkeiten fehlen.



      Ich finde daher den fachspezifischen Test wie in Österreich (MedAt) besser, dass Abi als Nachweis der "Studierfähigkeit" und dann die Abfrage der benötigten Fähigkeiten.



      .... und ob die das alles "spielend leicht" erledigt haben erfahren wir als Patienten später ja ohnehin nicht.

    • @Winnetaz:

      Tja. Wenn das so ♦️ einfach wäre.

      Klar “Huch - hab ja ne 1 im Abi! Muß ich na logo Medizin studieren! Gell“



      (Bin von Medis. umstellt hab mit einer und deren Clique studiert: die hassen diese Sorte! Weil sich aber rumspricht, daß das mit Kohle nich mehr so dolle is und (ua dank einiger meiner Mitschüler und Karl Salzlos van Lau;( die KlinikDienste längst knüppelhart sind!



      “Läscht das nach! Gellewelle&Wollnichtwoll“



      Empathie etc wären so Stichworte!

      unterm——-Reminiszenz —-



      Als NC aufkam - lehnte die Uni Köln die Berücksichtigung der DeutschNote mit der Begründung ab: diese drücke nur das Lehrer/Schülerverhältnis aus! 🙀🥳



      Während ich (Mathe/Physik) zB den Chemie-Lehrer “Klein Neumann“ Ich geb ihnen keine 2 mehr!“ „Ja dann lassen’s doch bleiben! Wirding „



      Intervenierte der Landarztsohn Jens



      “Mathe? - du ne 4!“ “Aber ich will doch Medizin studieren!“ der olle KLeu “Na gut / befriedigend. Aber so gut biste nicht!“ => ein glänzender Arzt - wurde Chef der Klinik am Rübenberg obwohl er weder Psrteibuch noch!!! katolsch war!

      So geht das ©️ Kurz Vonnegut



      „Ich dachte, Wissenschaftler würden genau herausfinden, wie alles funktioniert, und es dann besser machen.“

      ps



      Als kompetentes Hintergrundrauschen dienen mir btw die Heimfahrt📱gespräche mit meiner Großen - früher rechts der Isar mittlerweile Uni-Klinik.



      Intelligenz - was immer das genau sein soll - ok schadet nicht! Gell

      • @Lowandorder:

        Bei Freundinnen meiner Frau lief der Entscheidungsprozess in etwa so.



        Abi 1,0



        Möglichkeiten: Jura, Medizin, Architektur



        Jura zu viel lesen und langweilig.



        Medizin zu blutig zu lange.



        Bleibt nur Architektur.

        • @Axel Schäfer:

          Hm. Sohnemann der jüngste

          “Das werd ich dir nie vergessen - daß du immer gesagt hast - Scheiś auf die Zensuren! Mach Abi. Der Rest findet sich!“

          Die Entscheidungsfindung:=>



          (Großvater Architekt Urgroßvater Dombaumeister)



          “Na - was wird’s denn?“ … Neurologie…



          „Naja am liebsten würde ich ja…“



          “Ah ja Architektur! Aber da kann man kein Geld mit verdienen!“ “Genau!“



          (Nc - aber Holland eh cool! Freundin BauIngStud => Vater dito & 5xxlfacher;)



          „Jung! Das überleg dir gut! Du bist kein Arbeiterkind und mußt nicht Elektriker werden nur weil keine andere Lehrstelle da is!“



          Nach einem Semester “Ok - jetzt kann ich rechnen!“ 🤪 & Däh => Studienplatz in MS & jetzt sehr cool sehr clever in Berlin gen Master!

          kurz - Na bitte - Geht doch! Woll

          • @Lowandorder:

            Sorry - einen Satz (nach Arbeiterkind) vergessen“…dein leben lang was arbeiten / wozu du eigentlich keine Lust hast / das kann’s nicht sein! Wennde dabei n Semester in den Sand setzt - mir wumpe!